Pilgern im Jetzt mit geöffnetem Herzen
Die Katholische Aktion versteht sich in ihrer inneren Dynamik als „Pilgerin im Jetzt“. KAÖ-Präsident Ferdinand Kaineder, selbst erfahrener Pilger und Weitgeher, erinnert an die inneren Dynamiken des gehenden Pilgerns und an die Aufträge, die sich daraus für Menschen mit christlicher Prägung ergeben.
Pilgern im Jetzt heißt für uns, sich der gehenden Präsenz in dieser Welt auszusetzen. Wir denken uns in Bewegung und sind in Bewegung, sind eine Bewegung. Das heißt, Gewohntes und Starres zu relativieren, immer neu in Beziehung zu bringen und sich auf das Wesentliche als Reisegepäck mit Blick in die Zukunft zu konzentrieren. Ebenso heißt es, sich einer fluiden und ungeschminkten Form der Wahrnehmung hinzugeben, damit daraus die jeweilige Lebenssituation breit bewertet werden kann und daraus wieder die nächsten konkreten Schritte gesetzt werden können. Das gehende Pilgern gibt dem KA-Prinzip (sehen-urteilen-handeln) eine neue Erfahrungsbasis, einen neuen Denk- und Erfahrungsraum und ergibt eine neue Handlungsdynamik, nämlich konkret, Schritt für Schritt. Wesentlich ist die Richtung.
Pilgern im Jetzt heißt nicht nur, die Sinne zu öffnen, sondern damit verbunden auch die Herzen, die Mentalitäten und Gedankengänge. Pilgern öffnet Schritt fr Schritt, dass Fremdes bereichert und nicht bedroht, dass Vielfalt stärkt und Diversität eine besondere Resilienz hervorbringt, dass Beziehung und Begegnung heilt und vor allem haptische Gemeinschaft hält. Das Grundbild des Pilgerns ist die offene Gastfreundschaft und weniger der technogene Algorithmus. Gastfreundliche Herzen sind das Spiegelbild Gottes auf Erden. Wer ehrlichen Herzens pilgert, wird keine Fremdenfeindlichkeit aufbauen, keinen Neid aufkommen lassen oder gar einer irdischen Gier Platz geben. Vielmehr stellt sich die Einsicht ein, dass Loslassen befreit. Leben teilen wird genährt. Das erinnert an die Jesusgeschichten und die Jesusbewegung in der Geschichte, die nie Zäune errichtet, sondern Tische verlängert hat, wenn sie mehr hatte als sie brauchte. Der egoistisch geprägte Lebensstil wird aufgebrochen und eine neue conviviale Lebenshaltung macht sich breit. Ein Leben in Gemeinschaftlichkeit und Solidarität schafft die angstfreie Lebensbasis.
Auf Pilgerwegen werden immer besondere Eindrücke, Begegnungen, Erfahrungen gesammelt. Diese nähren eine innere Neugierde, die beim Pilgern im Geh-Modus ihre Resonanzräume bekommt. Offenheit erleichtert alles, das Entgegenkommen wird selbstverständlich und eine befreiende Distanz zum Alltäglichen, oft auch dem gebrochenen Leben nimmt Platz. Das ungeschminkte Wahrnehmen braucht vor allem die Distanz zum Gewohnten, sucht das Fremde, freut sich am Perspektivenwechsel. Die sich mit jedem Schritt neu ergebende Umgebung und Sichtweise schärft einen altruistischen Blick. Wo ist jemand, wo ist der andere? Diese Situationen sind genau jene lebensförderlichen und nährenden Lebensrealitäten, die auch eine Kirche als pilgerndes Volk Gottes realer macht, Schrift für Schritt. Wir wissen: Überraschungen werden kommen. Das Neue und oft ganz andere nimmt Gestalt an und schafft eine neue Art von kirchlicher Präsenz in der Gesellschaft. Ungewohnt, aber wirkmächtig. Jetzt ist die Zeit der Gerechtigkeit und Fairness, insbesondere der Geschlechtergerechtigkeit durch alle Lebensdimensionen hindurch, Zeit des Friedens, Zeit der Teilhabe auf Augenhöhe, Zeit der sozial-ökologisch-spirituellen Transformation und einer menschenrechtsbasierten liberalen Demokratie als Gesellschaftsgestaltung. Jetzt ist die Zeit zum Gehen und nicht zu warten, bis andere gehen.
Jedem tatsächlichen Aufbruch ist eine tiefe Sehnsucht nach einem gelingenden und ganzheitlichen Leben grundgelegt. Die tiefste Sehnsucht beim Pilgern ist, dass mir Menschen, die Welt und Gott auf Augenhöhe entgegenkommen. Es geht dabei nicht um ein Perfekt-werden, sondern um ein Hineinfinden in die eigene Berufung. Gott beruft nämlich nicht die Perfekten, sondern er qualifiziert die Berufenen. Das Pilgern ist ein „Qualifizierungsvorgang“ entlang der eigenen Fähigkeiten. Dort, wo meine Fähigkeit, mein Charisma auf die Not der Zeit trifft, liegt wahrscheinlich meine Berufung. Für die Kirche heißt das, dass sie dem Qualifizierungsinteresse Gottes nicht im Weg steht. Das Pilgern nährt und schafft Offenheit dafür. Das wird und soll alle amtskirchlich-hierarchischen Gegenden von Kirche überraschen. Manches Liebgewonnene hat im Rucksack nicht mehr Platz und bleibt hinten, um dem Wesentlichen Platz zu geben: Liebe und Barmherzigkeit, Trost und Heilung. Dieses Auffinden des Wesentlichen ist aus der gängigen Betrachtung oft mit Um- und Irrwegen verbunden. Gerade aus einem tiefen Verständnis der Kirche als „synodales Lebewesen“ wissen wir, dass der gemeinsame Weg eine gemeinsame Suche und ein gemeinsames Weg-Finden bedeutet. Das bedeutet auch in Erinnerung an die vielen Heiligengeschichten, dass diese Suche mit Geduld, mit Ausdauer und oft (aus der Mainstream-Denke als Irrwege gesehen) begangen werden müssen. Gerade als KA plädieren wir hier für eine weite Denkweise, wenn wir von Kirche sprechen, und erinnern daran, dass prophetischen Personen und Gruppen das Leben zu oft schwer gemacht wurde. Das muss und darf sich nicht wiederholen.
Viele Menschen suchen heute Ruhe und Stille. Es machen sich immer mehr Menschen auf den Weg, die mit hängender Zunge im Dauerproduktionsmodus das Glück suchen, in einer oft ungesunden Geschwindigkeit und digitalen Omnipräsenz. Andere missen die Tiefe einer spirituellen Gemeinschaft, die nicht dauernd quasselt und nicht immer etwas will. Menschen suchen wieder einen regenerativen Lebensrhythmus und eine neue Jetzt-Präsenz. Wenn ich gehe, gehe ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich schlafe, dann schlafe ich, wenn ich bete, dann bete ich und wenn ich arbeite, dann ist das in diesen Rhythmus eingebettet. Sie suchen eine „Life-Life-Balance“, die alle Lebensbereiche integriert und nicht gegeneinander ausspielt. Die Sehnsucht nach einem lebensförderlichen Rhythmus hat auch innerhalb des breiten Netzes der Katholischen Aktion ihren Platz. Die KA will ein guter Platz für sinnerfüllendes Engagement sein und mithelfen, dass Menschen ihren Rhythmus des Lebens in dieser Zeit finden. Im Pilgern geöffnete Herzen sind dafür eine gute Voraussetzung.
Siehe auch Zukunftsmanifest der KAÖ
(ps/21.7.2025)