Gebt der Bildung Freiraum und neue Bewegung
Wenn wir in unsere Schulen schauen, dann sehen wir in die Zukunft unseres Landes. Was wir dort mit unserem ungeschminkten Blick wahrnehmen, erfüllt uns mit ganz großer Besorgnis. Aus diesem Grunde wenden wir uns an alle, die ein neues Regierungsabkommen verhandeln.
Wahrnehmungen und Feststellungen
Wir sehen im Bereich der Bildung, dass bei allen vier Wirkungszielen (Erhöhung des Leistungs- und Bildungsniveaus, Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit, Effektivität und Effizienz, Verbesserung der Bedarfsorientierung) ein ungenügender Realisierungsgrad besteht. Auch wenn einzelne Bereiche wie die duale Ausbildung international anerkannte Erfolgsbeispiele sind, besteht drängender Handlungsbedarf. Etablierte Studien wie die Pisa-Studien messen lediglich Symptome und nehmen nicht ausreichend auf sozio-ökonomische Ursachen Bezug. Bildungsferne Milieus oder nicht vorhandene Deutschkenntnisse finden zu wenig Beachtung in entsprechenden Bildungsmaßnahmen.
Das Bildungssystem ist ein vitaler Bereich aller gesellschaftlicher Resonanzräume und darf daher nicht isoliert betrachtet werden. Gerade die Unübersichtlichkeit in der Arbeitsteilung zwischen Ministerium, Ländern und Gemeinden schafft eine unnötige und enorm belastende Binnenkomplexität für alle Bildungsakteure. Die Aufgaben- und Ressourcenzuordnung auf die einzelnen Bildungsebenen ist nicht angemessen. Die eingesetzten Mittel könnten wesentlich besser wirken. Alle wesentlichen Bereiche – angefangen bei der Elementarbildung über die Primar- sowie Sekundarbildung und schließlich das lebensbegleitende Lernen – sind deutlich unterdotiert.
Forderungen an die Bildungsgestalterinnen und -gestalter
Aus dieser Situationsbeschreibung folgern wir zehn Forderungen an die Gestaltung einer zukunftsorientierten Bildungswelt:
- Nutzen Sie alle Möglichkeiten zu Kompetenzentflechtung in der Administration der Bildungsarbeit auf allen Ebenen und untereinander.
- Entwickeln Sie konsequent die Schulautonomie weiter durch mehr Vertrauen und weniger Kontrolle, mit der Folge des Abbaus von Bürokratie.
- Stärken Sie die Lehrenden in ihrem Bildungsauftrag und in ihrem konkreten Unterrichten und zeigen Sie die gebotene Wertschätzung durch Ausstattung mit ausreichenden Ressourcen, faire Entlohnung und die Zurverfügungstellung von Unterstützungskräften in herausfordernden Situationen. Sozial benachteiligte Schulstandorte sollten mehr Mittel zugeteilt bekommen, mit denen die Schulen ihren Unterricht und eventuelle Unterstützungen verbessern können.
- Werten Sie die Elementarpädagogik (vor allem im Kindergarten) auf. Dort sehen wir die besten Pädagoginnen und Pädagogen im Einsatz, die auch Sprachkompetenz fördern können, die sich über mindestens 2 Jahre erstreckt und im Volksschulbereich weitergeführt wird. Für kulturelle Integration braucht es dazu ebenfalls entsprechende Ressourcen.
- Stellen Sie sicher, dass jede und jeder Fünfzehnjährige nach der Grundschule sinnerfassend lesen und sich schriftlich ausdrücken kann.
- Diskutieren Sie ideologiefrei und unvoreingenommen die "Mittelschule“. Messen sie die Ergebniswirksamkeit an anderen erfolgreichen Schulformen in diesen Altersstufen.
- Ganztägige Schulformen im Primarbereich, die Unterricht und Freizeitangebote verschränken, unterstützen nicht nur Eltern dabei, Berufstätigkeit und Betreuungspflichten vereinbaren zu können, sondern schaffen auch Chancengerechtigkeit durch kindgerechte, individuelle Fördermöglichkeiten und den niederschwelligen Zugang zu Freizeitangeboten. Diskutieren Sie daher ideologiefrei und unvoreingenommen das Thema Ganztagesschule und lassen sie unterschiedliche Differenzierungsmöglichkeiten wie international bewährte Kurssysteme nicht außer Acht.
- Erwarten Sie sich die Lösung struktureller Problemstellungen nicht von einer undifferenzierten Digitalisierung (auch nicht von KI). Es geht im Grunde immer um agile, resiliente und haptisch greif- und erlebbare Lernprozesse, die Chancen ergreifen und Risiken vermeiden.
- Achten Sie darauf, die unabdingbaren „future skills“ nicht nur in den technologischen Ebenen („mint“) zu entwickeln, sondern auch die aus einem sozial-ökologisch-spirituellen Welt- und Menschenbild kommenden ganzheitlichen Schlüsselkompetenzen. Transformation ist nicht einfach eine Technikherausforderung, sondern ein ethisch-ganzheitliches Geschehen.
- Die Stärken der dualen Ausbildung, um die Österreich in der ganzen Welt beneidet wird, müssen weiterentwickelt werden.
Zum Gesamtbild der Bildungspolitik gehört auch die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit. Als ein günstiges Freizeitangebot erleichtert sie Kindern und Jugendlichen die Kontaktaufnahme mit anderen und eröffnet somit ein wichtiges soziales Lernfeld. Sie ist ein wesentlicher Ort non-formaler Bildung und sollte mit höherer Förderung bedacht werden.
In diesem Sinne vertrauen wir darauf, dass Bildung auf den verschiedensten Ebenen und in den gesellschaftlichen Feldern Freiraum bekommt und neu Bewegung aufnimmt.
Friedrich Macher
Ferdinand Kaineder
13. Dez 2024
(jp/13.12.2024)