Reden wir über Wesentliches und Verbindendes
Wie der Begriff „Leitkultur“ derzeit verstanden und auf parteipolitischen Ebenen eingesetzt wird, ist er nicht hilfreich. Er dient in diesem Kontext weniger dazu, Gemeinsamkeit zu schaffen und zu stärken, sondern eher, auszugrenzen, zu spalten, zu trennen, gesellschaftliche Gruppen zu stigmatisieren und gegeneinander auszuspielen. Anstatt unsere Energie in dieser aufgeheizten Debatte zu vergeuden, sollten wir uns auf die wesentlichen Ziele und Probleme unserer Gesellschaft konzentrieren und gemeinsam Lösungen suchen.
Der Frage, was am eigenen Verhalten und an der eigenen Lebensweise gemeinschafts- und gesellschaftstauglich ist und was nicht, muss sich ausnahmslos jeder und jede Einzelne immer wieder stellen. Als Christen nennen wir dies Gewissenserforschung. Auch gesellschaftliche Gruppen und Institutionen, Wirtschaft und Politik kommen um diese Aufgabe nicht herum. Angesichts der Klima- und Umweltkrise kommt ein weiterer wesentlicher Aspekt dazu: Was an unserem Handeln ist mitweltverträglich?
Menschenrechte als Basis
Ausgehend von den zerstörerischen Erfahrungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts hat die UNO 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Sie beginnt mit dem Satz: ‚Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.‘ Alles Folgende ist Ausgestaltung diese Aussage. Österreichs Verfassung und Gesetze müssen sich an den Menschenrechten messen lassen. Auch die Europäische Union basiert auf der Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte, auf Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Meinungs- und Gewissensfreiheit, Nichtdiskriminierung, Schutz von Minderheiten, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität sind ebenfalls zu nennen. Eine globale Umsetzung der Menschenrechte muss unser aller Ziel und Anstrengung sein.
Die Prinzipien, Leitlinien und Werte, die als breiter Grundkonsens unserer Gesellschaft gelten, sind formuliert, also vorhanden. Eine andere Frage ist, wie sie in den unterschiedlichsten Lebensbereichen konkret ausgestaltet und gelebt werden. Dafür haben wir in unserer liberal verfassten demokratischen Ordnung den öffentlichen politischen Diskurs, demokratische Institutionen und gewählte Verantwortungsträger.
Politische und demokratische Kultur verbessern
Worüber wir uns in Österreich tatsächlich Gedanken machen sollen, ist: Wie können wir unsere politische und demokratische Kultur verbessern? Hier ist Luft nach oben. Und zu solch einer Kultur gehört, sich den tatsächlichen Herausforderungen und Problemen zu stellen und nicht Scheindebatten zu führen und populistischen Hohlphrasen hinterherzulaufen.
Eines dieser Probleme ist ohne Zweifel, dass in unserer Gesellschaft Gewalt noch viel zu oft als Mittel der Konfliktlösung gesehen wird. Dazu zählen aber nicht nur jugendliche Messerstechereien in Wien-Favoriten; in viel höherem Ausmaß gilt dies für sexuelle Gewalt gegen Frauen und Femizide, verübt von Männern aller Altersgruppen und Schichten, und für die noch immer verbreitete Un-Kultur der „g’sundn Watschn“ in der Kindererziehung. Als Gegenmaßnahmen braucht es hier rechtliche und soziale Maßnahmen und immer wieder Bewusstseinsbildung.
Demokratie ist ein andauernder Prozess.
Maßnahmen gegen den Klimawandel, gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation erfordern nicht nur einen klaren politischen Willen dazu, sondern die Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Bereiche und Gruppierungen. Nicht abgrenzende und spaltende Slogans führen hier zu nachhaltigen Lösungen, sondern die gemeinsame Suche nach Wegen, das aufeinander Hören, das Brückenschlagen zu Andersdenkenden, das Hereinholen der Betroffenen und nicht deren Ausgrenzung. Nur wer aufrichtig ernstgenommen wird, wird sich einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft zugehörig fühlen und sich einbringen.
Zugehörigkeit durch Wahlrecht
In einer Demokratie ist das fundamentale Ernstgenommen-Werden die Möglichkeit der Mitbestimmung durch das Recht zu wählen. Es braucht einen erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft für Menschen mit Migrationshintergrund. Insbesondere Menschen aus zugewanderten Familien, die hier geboren sind, benötigen die Chance, Staatsbürger:innen zu werden und an Wahlen teilzunehmen; wie sollen sie sich sonst unserer Gesellschaft und ihren Werten zugehörig fühlen?
Religionsfreiheit und Dialog
Was das Verhältnis von Religion und Gesellschaft betrifft, ist es uns als Katholische Aktion wichtig, Folgendes festzuhalten: Die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung in Österreich und Europa ist von Grundsätzen und Werten geprägt, die vielfach christlich konnotiert sind. Die Anerkennung der Menschenrechte, darunter die Religionsfreiheit, musste dennoch den Kirchen abgerungen werden. Und auch heute ist keine christliche Kirche vor Fundamentalismen und Fundamentalisten gefeit, so wie jede andere Religion auch. Dem entgegenzuwirken, braucht Begegnung, Austausch, Dialog. Hier sind noch viele Möglichkeiten ungenützt, das stellen wir auch selbstkritisch fest.
Die Tatsache, dass die meisten christlichen Kirchen in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten an Anziehungskraft verloren haben und offenbar weiter verlieren, bedauern wir. Die Verantwortung dafür können wir uns als Kirchen aber nur selber zuschreiben und nicht auf andere Religionsgemeinschaften oder Weltanschauungen abschieben. Ob der christliche Glaube und eine Mitgliedschaft in einer christlichen Gemeinschaft heute und morgen als attraktiv erlebt wird, dafür sind wir als Christen und als Kirche ebenso selbst verantwortlich. Als Katholische Aktion wollen wir uns dafür aktiv einbringen und Menschen Raum geben.
(jp/15.4.2024)