Kritik an Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes
Angesichts ausbeuterischer Kinderarbeit oder durch Rohstoff-Raubbau verwüstete Landstriche: Europa benötigt ein starkes Lieferkettengesetz, um internationale Sozial- und Umweltstandards zu verbessern, wie Herbert Wasserbauer, Referent der Dreikönigsaktion (DKA) in der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe) fordert. Anlass ist die mehrmals vertagte Abstimmung im Ausschuss der EU-Botschafter auf unbestimmte Zeit vertagt; diese wurde nun auf voraussichtlich nächste Woche vertagt. Das vorliegende Gesetz "nach dessen Abschluss kippen zu wollen, ist schäbig und gefährdet das Funktionieren des europäischen Projekts", lautet die Kritik des DKA-Experten. Das entwicklungspolitische Hilfswerk der Katholischen Jungschar ruft zu einer "Rettung" des Gesetzes auf.
"Das EU-Lieferkettengesetz hat es auf den letzten Metern in die Schlagzeilen geschafft und ist wohl auch in den Sog des beginnenden (Europa-) Wahlkampfs geraten", so Wasserbauers Fazit. Die Wirtschaftsminister im EU-Rat hätten bereits am 9. Februar über das Lieferkettengesetz abstimmen sollen, jedoch sprach sich die deutsche FDP gegen den Gesetzesentwurf aus, woraufhin auch der österreichische Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) ankündigte, sich bei der Abstimmung in Brüssel enthalten zu wollen. Kritik kommt dafür auch in einem DKA-Newsletter am Donnerstag: "Nun scheint es, als schlage sich Minister Kocher in letzter Sekunde doch noch auf die Seite der Blockierer und Lobbyisten der Großindustrie."
Gleich in mehrfacher Hinsicht überrascht zeigte sich Wasserbauer von der "Vehemenz und Unsachlichkeit, mit der einzelne Verantwortliche in der Wirtschaft und Politik gegen die fertig verhandelte Richtlinie zu Felde ziehen". Zudem sei das dem Gesetz zugrundeliegende Konzept von "Sorgfaltspflichten" keineswegs neu. Der Fachexperte verwies auf die 2011 einstimmig im UN-Menschenrechtsrat beschlossenen Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen. "Die gleichen Personen, die nunmehr Überforderung orten und massive Schäden für den Wirtschaftsstandort befürchten, haben mehr als ein Jahrzehnt lang betont, die Umsetzung der freiwilligen Rahmenwerke sei ohnehin am Laufen, eine verbindliche Regelung gar nicht nötig", mahnte Wasserbauer.
Appell an Minister
Es wäre zudem ein Fehler, nur auf jene zu hören, "die sich groß beschweren, dass dies so überfordernd ist", so der Koordinator der AG Rohstoffe auch im Ö1-Radiokolleg am Mittwoch. Jene Unternehmen, die das Lieferkettengesetz nun kritisieren, würden nicht die gesamte österreichische Wirtschaft repräsentieren. Es sei ratsam, sich an Unternehmen zu orientieren, die bereits motiviert und bemüht sind und die anderen mit gesetzlichen Bestimmungen zum Nachziehen drängen, meinte Wasserbauer und erinnerte an die staatliche vom Ministerrat beschlossene Kreislaufwirtschafts-Strategie, die den Pro-Kopf-Materialverbrauch pro Jahr bis 2050 auf sieben Tonnen reduzieren will.
Der nun zur Abstimmung vorliegende Gesetzestext sei ein "europäischer Kompromiss", der aus einem zweijährigen Konsultationsprozess erstanden sei, und ein Schritt in Richtung mehr globaler Gerechtigkeit, betonte die Dreikönigsaktion in ihrem Newsletter. Das Hilfswerk verwies auch auf Umfrageergebnisse, denen zufolge über 80 Prozent der Bevölkerung einem strengen Lieferkettengesetz zustimmen. An alle zuständigen Minister appellierte die DKA, das Gesetz zu retten, wozu diese auch von via Sozialer Medien kontaktiert werden sollten. Der Textvorschlag dazu: "@Martin Kocher Österreich hat sich bisher konstruktiv in den Prozess zum EU-#Lieferkettengesetz eingebracht; Respektieren Sie das Verhandlungsergebnis und stimmen Sie zu! #lieferkettengesetzjetzt #kinderarbeitstoppen #csddd"
Trotz positiver Auswirkungen würden DKA-Projektpartnerinnen und -partner das Lieferkettengesetz gemischt bewerten, berichtet Wasserbauer: "Positiv als ersten Schritt oder kritisch, weil zu wenig ambitioniert." Die DKA beobachte schon längst in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas "die Auswirkungen einer verantwortungslos agierenden globalisierten Wirtschaft". Mithilfe der EU-Richtlinie könnte man zumindest Mindeststandards zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt für große Unternehmen entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungsketten verbindlich machen.
EU-Lieferkettengesetz
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen - mit mehr als 500 bzw. in Risikosektoren mit mehr als 250 Beschäftigten - zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Damit der Text verabschiedet werden kann, wäre eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten oder 15 von 27 oder Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nötig. Bereits Anfang Februar hatten u.a. die katholischen Bischöfe Werner Freistetter und Stephan Turnovszky an die österreichische Politik appelliert, dem EU-Lieferkettengesetz zuzustimmen
(jp/16.2.2024)