Graz und Wien: Gedenken der Opfer des Amoklaufs
Eine Gedenkveranstaltung mit Angehörigen von Opfern des Amoklaufs von Graz auf dem Hauptplatz der Stadt hat die Tausenden Anwesenden am Abend des 11. Juni tief berührt. Vom Amoklauf betroffene Schülerinnen und Schüler und der Bruder einer getöteten Jugendlichen sprachen unter Tränen über ihre Gefühle und das Erlebte: „Ich lasse nicht zu, dass uns dieser Tag zerreißt. Unsere Antwort ist Liebe.“
Die Feier war kurzfristig von der Muslimischen Jugend Österreich, Landesverband Steiermark, zusammen mit zahlreichen weiteren Jugendorganisationen - darunter die Katholische Jugend und die Katholische Jungschar - und dem steirischen Landesjugendbeirat organisiert worden. Der Bruder einer verstorbenen Schülerin, selbst noch ein Jugendlicher, richtete das Wort an die die Tausenden Menschen auf dem Grazer Hauptplatz. Unter Tränen gab er Einblicke in seine Gefühlswelt und sprach zu seiner toten Schwester: „Wir vermissen dich. Wir lieben dich.“
Betreuer begleiteten ihn anschließend von der Menschenmenge weg durch den Eingang ins Rathaus, um ihn zu unterstützen. Bürgermeisterin Elke Kahr verließ die Gedenkveranstaltung für ein paar Augenblicke, um den Jugendlichen zu trösten.
Währenddessen sprach eine Schülerin, die den Amoklauf miterlebt hatte, zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gedenkveranstaltung. Sie schilderte, wie die Jugendlichen „um ihr Leben gerannt“ sind, über Zäune sprangen und schließlich in der Helmut-List-Halle in Sicherheit ankamen. Ihre Gefühle beschrieb sie mit den Worten: „Panik, Angst und Ungewissheit, aber auch Zusammenhalt.“ Sie fuhr fort: „Eltern standen draußen und hofften, dass ihre Kinder leben. Manche haben vergeblich gehofft.“ Sie trage die Schicksale ab jetzt mit sich, „aber ich lasse nicht zu, dass uns dieser Tag zerreißt. Unsere Antwort ist Liebe.“
Bürgermeisterin Kahr betonte wie schon am Tag zuvor, dass die Menschen nun füreinander da sein und einander umarmen sollten, um zu zeigen, „dass man nicht alleine ist“. Es gelte, „gemeinsam zusammenzustehen und zusammenzuhalten – für Frieden, Solidarität und Respekt. Halten wir gemeinsam zusammen!“
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm an der Gedenkveranstaltung teil. Zuvor war er noch für Gespräche bei Landeshauptmann Mario Kunasek in der Grazer Burg und bei Bürgermeisterin Kahr im Rathaus. Diese seien laut Van der Bellen „einerseits von dem Schrecken und Horror geprägt, den wir gestern erlebt haben. Aber andererseits wurde der Polizeieinsatz gewürdigt. Es ging schnell, es hätte schlimmer kommen können, so furchtbar das auszusprechen ist.“
Der Bundespräsident weiter: „Graz ist leider im Fokus. Es ist eine wunderschöne Stadt, die wir sehr gerne mögen, aber es ist leider hier passiert. Wir werden zusammenstehen.“ Auf die Frage, was er den Eltern der getöteten Kinder sagen könne, meinte er: „Wenn ich mir vorstelle, dass einer meiner Söhne in die Schule gegangen wäre und zu Mittag nicht mehr heimkommt: Das ist einfach schrecklich.“
Van der Bellen meinte aber auch: „Es stellen sich Fragen für die Zukunft, eine betrifft den 21-Jährigen. Er hatte Waffen für den Einsatz bereit. Ist die Rechtslage wirklich so, dass sie modernen Anforderungen genügt? Das wird zu prüfen sein. Und die zweite Frage, die vielleicht noch wichtiger ist: Wie kann die Sicherheit von Schulen und Kindergärten besser werden, weil hundertprozentige Sicherheit kann es nie geben.“
„Der Schock über die toten Kinder und Jugendlichen sitzt natürlich ganz, ganz tief. Das hat es in diesem Ausmaß in Österreich noch nie gegeben. Ich verstehe, dass Graz, die ganze Steiermark und Österreich trauert. Wir haben sehr viele mitfühlende Botschaften aus dem europäischen Ausland bekommen. Alle nehmen das sehr ernst, was hier passiert ist.“
Und Van der Bellen auf dem Hauptplatz weiter: „Wir werden darüber nachdenken müssen, wie wir ein bisschen mehr tun können, um den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schülerinnen und Schülern das Gefühl von mehr Sicherheit zu geben.
In Wien hatte am Abend des 11. Juni die von Katholischer Jungschar und Jugend mitgetragene "Junge Kirche" der Erzdiözese Wien und die Caritas zu einem Lichtermeer vor dem Stephansdom und einer Andacht im Dom eingeladen, um der Opfer und der Hinterbliebenen der Gewalttat in Graz zu gedenken.
"Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum kenne ich nicht", erklärte der sichtlich betroffene Apostolische Administrator Josef Grünwidl bei der von der Jungen Kirche gestalteten Andacht im Dom. "Solange ich auf Erden bin, erwarte ich keine Antwort von Gott - aber dass er mir Hoffnung und Perspektive gibt", so Grünwidl, der einen jüdischen Gelehrten zitierte: "Gott ist nicht die Antwort, Gott ist die Aussicht." Der Gottesdienst schenke Hilfe aus der Hilflosigkeit: Symbole und Gesten könnten Verzweiflung und Wut Ausdruck verleihen, wo Worte fehlten.
"Viele Menschen in Österreich fühlen sich ohnmächtig nach dieser furchtbaren Tat", äußerte sich der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner vor dem von der Caritas veranstalteten Lichtermeer am Stephansplatz. "Wir wollen in diesen Stunden ein Signal für Zusammenhalt setzen, das bis nach Graz leuchtet", so Schwertner gegenüber Kathpress. Das Gedenken vor der Domkirche solle Jugendlichen, Angehörigen und Freunden der Opfer das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind - denn den Kindern sei ihre Sicherheit im sensiblen Bereich der Schule genommen worden.
Im Stephansdom wanderten Seelsorger der Erzdiözese Wien, mit roten Westen gekennzeichnet, mit Taschentuchboxen und der Einladung zum Gespräch durch die Gänge. "Heute soll es Zeit für Tränen geben, aber auch für Hoffnung und Zusammenhalt", gaben Steffie Sandhofer und Constanze Huber, die die Andacht auch musikalisch gestalteten, das Leitbild des Abends vor.
Begleitet von Liedern mit Akustikgitarren und Piano konnten sich die Besucherinnen und Besucher im Kirchenraum frei bewegen, um an aufgebauten Stationen Weihrauch in Schalen aufzulegen und Kerzen für die Opfer und ihre Angehörigen zu entzünden. Gemeinsam angestimmt wurde am Ende das Lied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" mit dem Text des christlichen NS-Märtyrers Dietrich Bonhoeffer. Von den Zeilen "Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag" waren viele ergriffen.
Quellen: orf/kathpress/red
(eo/12.6.2025)